SOCIAL MEDIA MARKETING

#deletefacebook: Warum das nicht so einfach wird.

Paul Schütz, Founder & Managing Partner, Hamburg

28. März 2018

Keine guten Zeiten für Facebook. Es ist vermutlich der größte Shitstorm der gesamten Geschichte des Internets. Jedem war immer bewusst, dass Facebook unsere Daten verkauft. Doch erst jetzt sind das Ausmaß und die Konsequenzen in der Gesellschaft angekommen. Aber: Warum fühlen wir uns eigentlich verletzt?

#deletefacebook ist dauertrending auf Twitter. Schaut man sich die Facebook-Artikel auf Medium an, ist der Konsens folgender: „Facebook fucked up. They have to pay for it.“

Elon Musk, beziehungsweise sein ausgesprochen gutes Social-Media-Team, hat den Facebook-Shitstorm für mehr Hype für Musks Personal Brand und folgend auch für Tesla, SpaceX und Co. genutzt. Tesla und SpaceX sind (zumindest vorerst) aus dem Facebook-Karussell ausgestiegen.

Wie gesagt: Für Mark Zuckerberg sieht es aktuell nicht gut aus. Die Menschen, die sich ständig über „diese sozialen Medien“ und ihre gesellschaftlichen Konsequenzen beschweren, haben endlich ihren idealen Sündenbock gefunden. Im groß angekündigten Interview mit CNN entschuldigte Mark sich bei der Welt und versprach, dass der Cambridge Analytica Datenmissbrauch sich nicht wiederholen werde. So einfach wird das Unternehmen aus Menlo Park wohl nicht aus der Sache rauskommen.

Doch was genau haben wir eigentlich erwartet? Und warum tut es weh, dass Facebook (scheinbar) unser Vertrauen verletzt hat?

Facebook verkauft Werbung – und das verdammt gut.

Als Facebook 2004 das Licht der Welt erblickte, dachte wohl nicht einmal Mark Zuckerberg selbst, dass keine 15 Jahre später 2.000.000.000 Menschen monatlich vorbeischauen würden. Grob umgerechnet hat also jeder vierte Mensch auf der Welt einen Facebook-Account. Coole Sache. Und was macht man, wenn man so viele Menschen erreichen kann? Wäre Facebook eine NGO, würden sich die Ziele vermutlich mit den Zielen der Vereinten Nationen decken: Weltfrieden, Sicherheit, Menschenrechte.

Brave New World – oder so ähnlich. Facebook ist aber keine NGO, sondern eine Firma im kapitalistischen System. Es geht also um Geld. Und wenn man so viele Menschen erreichen kann, dann geht es darum, diese Masse zu monetarisieren. Immerhin arbeiten die 25.000 Mitarbeiter nicht kostenfrei. Der Nutzer ist also das Produkt. Facebook kann uns durch unsere Likes, Kommentare und Profile besser als jedes andere Unternehmen der Welt zu Geld machen. Und wir füttern die Datenmaschine fleißig weiter. Wie das in Zahlen aussieht? 1.400.000.000 Menschen loggen sich täglich bei Facebook ein. 4.000.000 Likes verteilen Facebook Nutzer PRO MINUTE.

Facebook macht süchtig – aber warum eigentlich?

Vergangene Woche war ich beim Online Marketing Rockstars Festival. Dort konnte man einen sehr interessanten und kritischen Vortrag von Scott Galloway über Facebook und die anderen US-Techgiganten hören.

Galloway ist Professor für Brand Strategy und Digital Marketing an der NYU Stern und hat vor Kurzem ein Buch publiziert, das sich geradezu philosophisch mit der Frage auseinandersetzt, warum GAFA (Google, Amazon, Facebook, Apple) so erfolgreich sind. Ich empfehle euch an dieser Stelle ganz dringend das Buch „The Four“ zu lesen. Ich habe es direkt am Wochenende verschlungen und bin hellauf begeistert – auch wenn ich vielen Aussagen darin überhaupt nicht zustimmen kann. Dazu aber mehr in einem anderen Blogbeitrag. Doch was er als „the hidden DNA of Facebook“ bezeichnet, trifft den Nagel auf den Kopf.

An dieser Stelle eine kleine Spoiler-Warnung, da ich im Folgenden auf Galloways übergreifende These zu Facebook eingehe.

Facebook = unser Streben nach Liebe

Galloway verweist in seinem Buch auf die groß angelegte Grant Study der Harvard Medical School. Zwischen 1938 und 1944 wurden 268 männliche Studenten der Eliteuniversität ausgewählt, die an dieser laufenden Studie teilnehmen sollten und seither auf Herz und Nieren untersucht, befragt und analysiert werden. Alles um eine Frage zu beantworten: „Welche Faktoren fördern die positive Entwicklung des Menschen?“. 75 Jahre und mehr als 20 Millionen US-Dollar in Forschungsgeldern später haben wir eine Antwort: „Glück ist Liebe“.

Und genau hier dockt Facebook an wie kein anderes Unternehmen. Facebook ist die ultimative Lovebrand. Facebooks Mission ist es, eine „offene und vernetzte Welt zu schaffen“. Facebook verspricht uns Nähe, Beziehung und ja, Liebe. Und unser Kleinhirn dreht durch.

Als kleine Nebenbemerkung: Für Galloway repräsentiert Facebook die Liebe, Apple steht für Sex, Amazon für Konsum und Google für Gott. Wie gesagt, eine sehr interessante Auseinandersetzung mit GAFA, die ihr euch nicht entgehen lassen solltet.

Weiter im Text.

Facebook als ultimative Droge

Es ist ganz einfach: Menschen brauchen andere Menschen. Je mehr Kontakt wir zu anderen Menschen haben, desto empathischer werden wir. Für die Spezies Homo Sapiens bedeutet das im Großen, dass wir durch mehr Empathie den Fortbestand der Menschheit sichern. Und hier kommt Facebook ins Spiel. Alte Freundschaften werden aufgewärmt, Babyfotos geteilt, Partner gesucht und gefunden. Facebook bedient unser Herz durch Fotos, Statusmeldungen unserer Freunde, und Communities. Facebook bringt uns Nähe und Liebe und flutet unser Gehirn mit Dopamin. Und Dopamin ist die ultimative Droge.

Wenn man sich Galloways Thesen so anschaut, wird relativ schnell klar, warum #deletefacebook einfach zu kurz gegriffen ist. Facebook hat mittlerweile einen Einfluss auf die Menschheit erreicht, bei der das Unternehmen sich nicht einfach nur als „Plattform“ vor der Verantwortung drücken kann. Facebook ist das größte Medienhaus der Welt. Und wir alle sind treue Leser. Punkt. Damit geht einher, dass der blaue Riese sich einem journalistischen Kodex annähern muss.

Das #deletefacebook-Movement wird nicht erreichen, dass zwei Milliarden Menschen ihre Accounts löschen. Und überhaupt ist dieser Aufruf absoluter Quatsch. Das wäre so, als würde man vor einem gesellschaftlichen Problem davonrennen. Ich mache die Augen zu und das Problem verschwindet. Wenn Facebook uns als Menschen nicht mehr im digitalen Raum zusammenbringen kann, kommt eben ein anderes Unternehmen und besetzt den Sektor. Und da wir im Kapitalismus leben, wird auch diese Firma Geld verdienen wollen. Facebook hat 2017 mehr als 40 Milliarden US-Dollar Umsatz gemacht. Dieser Kuchen wird bei einem theoretischen Verschwinden von Facebook nicht einfach so links liegen gelassen. Eines der größten Buffets der Welt wird eröffnet und niemand geht hin? Yeah, right.

Deswegen müssen unsere politischen Vertreter mit Facebook das tun, was uns als Gesellschaft schon immer weitergebracht hat: KOMMUNIZIEREN.